Beware of the Kontrollverlust – Die re:publica 2012

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Was ist nur aus dem kleinen, sympathischen Bloggertreffen geworden! Es hat sich einiges getan seit der letzten re:publica. Es war nicht nur die barrierefreiste re:publica, die es je gab, es war vor allen Dingen auch diejenige ohne (große) Platznöte – und das, obwohl besucherzahlenmäßig mit weiteren 1.000 Leuten eine ordentliche Schippe obendrauf gepackt worden war. Dennoch: Wer einen Vortrag hören wollte, konnte das dieses Jahr zu 99% auch tun; und dafür musste man keine Sardine sein. Dazu trugen auch die Monoblocs bei: bunte Plastikstühle, die man überall mit hinnehmen konnte. Ein wirklich gute Idee. (Und danke an den Brandschutz, der hier im Rahmen seiner Möglichkeiten sehr flexibel agierte.)

Langes Anstehen entfiel diesmal, und der re:publica Square mit der analogen Twitterwall und den „Affenfelsen“ war viel besser also das Hin- und Her-Gehopse zwischen Friedrichstadtpalast und Kalkscheune und dem Zufall, irgendwo irgendwem zu begegnen. Dieses Jahr lief man sich fast zwangsläufig über den Weg, wenn man das wollte – und das ohne große Anstrengung und ohne große Wege. Und noch dazu: überdacht.

Der neue Veranstaltungsort Station war sehr authentisch („Bingo!“), hat viel Spaß gemacht und war eine – wie ich finde – hervorragende Wahl. Um die Sache perfekt zu machen, logierte ich auch noch im Hotel direkt gegenüber.

Wieder einmal war die Qualität der Veranstaltungen durchwachsen; von spitze bis schade war alles dabei. Und wieder einmal muss ich vorrangig die üblichen Verdächtigen loben, zu denen bspw. Sascha Lobo („Stand des Internets 2012“ und Panel „Das digitale Dorf* – privat oder öffentlich?“), Sascha Pallenberg („Rockstars und Mimosen – Wie die deutsche Blogosphäre veramerikanisiert wird“) oder Felix Schwenzel („Soylent Green, äh, The Internet is People!“) gehören. Aber auch unser Regierungssprecher Steffen Seibert machte bei seinem Debüt eine gute Figur und wusste nicht nur dem weiblichem Publikum („Schnucki-Content der #rp12“) zu gefallen. Er kam offen und ehrlich rüber und scheute sich auch nicht, zuzugeben, dass er keine „Strategie“ verfolge, sondern einfach mal mache. Trial & Error. Und das macht er, wie ich finde, nicht schlecht. Und vor allem selbst. Bester Output: „Man sollte in Sachen Kommunikation nicht allzu weit hinter dem Vatikan zurückfallen.“

„Wenn man ein Buzzword nur oft genug gebraucht, wird irgendwann ein Budget draus.“ (Sascha Lobo)

Außerdem erwähnenswert der Vortrag von Udo Vetter („Spielregeln für das Netz – Sicher Publizieren in Blogs, Foren und Sozialen Netzwerken“), der mir nur leider die ausführende Erklärung zu Bildzitaten schuldig blieb.

Die GEMA hat sich nicht getraut und mal wieder einen Rückzieher gemacht. Soviel zu den Urheberrechtlern und dem Willen, gemeinsam Lösungen zu finden. Johnny Haeusler hat das schön formuliert: „GEMA ist der Endboss“.

Mario Sixtus enttäuschte etwas mit seiner Runde zu „Uebermorgen.TV – Neues aus der Zukunft”. Zeugte der einleitende Filmclip zum Thema Bewertung von einer guten Idee (Bewertungen aus verschiedenen Social-Media-Plattformen fließen in einen Gesamtwert zusammen, an dem man gesellschaftlich gemessen wird), so war sich das Podium schnell einig, dass der Kerngedanke gut sei, aber mit Vorsicht zu genießen. Naturgemäß wurde der Klout-Score angeführt, doch die Diskussion versandete schnell bzw. kam gar nicht erst auf. Damit war die Luft raus – und ich dann auch.

Bruno Kollhorst fasste ein paar interessante, wenn auch nicht bahnbrechende Erkenntnisse zum Thema „Social Müdia? Vom Umgang mit dem information Overflow“ zusammen. Die Techniker Krankenkasse will in Bälde die Studienergebnisse veröffentlichen, aber zusammenfassend könnte man sagen: „Balance statt Burnout!“ Sprich: Den Stecker zu ziehen, macht keinen Sinn; es gilt, ein gesundes Verhältnis zwischen der Nutzung der Sozialen Medien und dem Rest herzustellen.

Von Martin Schleichers „Was machen Kliniken in Social Media? Facebook, was sonst?!“ hatte ich mehr erwartet. Relativ lieblos wurden einige Facebookseiten als positive und negative Beispiele gezeigt, ohne dass dabei konstuktiv bewertet wurde oder er mal gesagt hätte, was er denn anders oder besser machen würde. Hat mich eher an „Hot or not“ erinnert.

Ich spreche es ungern an. Aber das Internet war leider mal wieder ein Desaster. Telekom und Vodafone hatten angeblich extra für uns je einen zusätzlichen Mast in der Nähe aufgestellt, aber ich mag mir gar nicht ausmalen, was ohne gewesen wäre. Man sollte dabei vielleicht auch erwähnen, dass die re:publica Bestandteil der Berlin Web Week ist. Das WLAN war ein unglücklicherweise ein Totalausfall. Leute, das muss doch mal zu schaffen sein! Michael Seeman: „diese #rp12 ist echt super interessant. eben ging’s um so ein ding names „internet“. um es zu erleben müsse man aber das gelände verlassen.“

Per „Pornobus“ schaffte man die interessierte Öffentlichkeit als Jury in das nächstgelegene Pornokino, um dort eine Vorauswahl für den Webvideo Fail Award zu treffen, der am Folgeabend in Form des „Silbernen Selleries“ erstmals verliehen wurde, moderiert von Christoph Krachten (Clixoom). Der BMW Praktikanten-Rap konnte sich schließlichen mit den lautesten Buh-Rufen gegen die würdigen Mitnominierten „Twittcoach“ Stefan Berns und Wolfgang Rademacher durchsetzen. Herzlichen Glückwunsch zum zweifelhaften Erfolg!

Fazit

Die Quintessenz der re:publica könnte man wohl mit diesen beiden Weisheiten zusammenfassen:

Das Internet ist real.
und
Beware of the Kontrollverlust!

Wir sind das Internet, und wir sollten uns die Kontrolle nicht aus der Hand nehmen lassen. Facebook & Co. zu verteufeln, wäre natürlich Quatsch. Dennoch kann ich mich der Forderung dem Aufruf von Sascha Lobo nur anschließen: „Macht 2012 zum Jahr der Blogs!“ Denn nur in seinem eigenen (selbst gehosteten) Blog hat man die echte Kontrolle. Wie ich immer sage: Das Blog ist das Herzstück, die Social-Media-Zentrale. Alles andere ist nützliches Beiwerk.

Die re:publica hat in diesem Jahr (bis auf das WLAN) meine Erwartungen erfüllt, die Räumlichkeiten haben das Manko des Vorjahres ausgeräumt. Allein, ich wünsche mir für 2013 mehr Social Medianer mit dem Selbstvertrauen eines Sascha Lobo. Ich kenne genug Menschen, die sich qualitativ nicht zu verstecken brauchen. Also zeigt es, Leute! Wie sagte Sascha Pallenberg weise:

„Es geht um Aufmerksamkeit!“

* Anmerkung: Sascha Lobo erfüllte seine Prophezeihung vom Vortag, wir bräuchten mehr Narrative, selbst und behauptete so einfach, „Das digitale Dorf“ sei als Begrifflichkeit nur auf Grund der Alliteration entstanden. Meine persönliche Meinung ist aber eher, dass dies ein schöner Zufall war. Denn ich meine, der Begriff entstammt viel eher der Weisheit „Die Welt ist ein Dorf“, weil sie durch unsere digitalen Möglichkeiten immer weiter zusammenrückt. Doch das ist nur meine Meinung. Und die nur am Rande.

Fotos: Ralf Heinrich und Mirko Schröder

 

PS: Ich freue mich, @textzicke, @Einstueckkaese, @bergfee, @Frau_Elise@function, @3x3ist6, @VolkerK_ oder @RAULde endlich mal persönlich kennengelernt und Menschen wie @margon@claudiahilker, @stephanR78 oder @S_TIMMung wiedergesehen zu haben. Um nur einige zu nennen. Genauso bedaure ich, ein paar Leuten nicht begegnet zu sein. Nun ja. Nach der re:publica ist vor der re:publica. Und dann gibt es ja noch die dmexco und diverse Barcamps… 😉

Autor: Ralf Heinrich

...ist Vater von zwei Söhnen und lebt seit der Jahrtausendwende im badischen Bühl. Der studierte Informationswissenschaftler und Werbe- und Marketingfachmann tauchte bereits 2005 in die Welt der Sozialen Medien ein, als XING noch openBC hieß und Facebook noch nicht wichtig zu sein schien. Er "lebt und atmet" Social Media durch XING, Facebook, Twitter & Co. und bloggt selbstverständlich auch. Bis 2014 beriet er zehn Jahre lang Firmen und Menschen im Umgang mit Social Media, gab ihnen Starthilfe, und entwickelte mit seiner Agentur, dem Kreativbüro, Werbe-Ideen und -Konzepte für seine Kunden. Nachdem er dann für rund viereinhalb Jahre das globale Marketing für den Treasury-Spezialisten BELLIN in Ettenheim geleitet hat, führt er aktuell das Marketing-Team des Sicherheits-Systemhauses Securiton an.

9 Kommentare

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  2. Aha, „Brandschutz“. War ja klar! Danach ist ja nix mehr mit aufmerksam weiterlesen. Schönen dank auch. Ich glaube ich muss das nächste Mal mitkommen und nach dem Rechten sehen.

    So, scrolle jetzt wieder hoch….

  3. Hab ich auch extra für Dich geschrieben, Patrick… 😉

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  5. Das mit der Kontrolle hatte ich anders verstanden: wir WERDEN die Kontrolle verlieren (oder haben schon, Stichwort Schufa oder Cloud, Kleinstcomputer, Videocam in Brille …), also sollten wir uns schon mal daran gewöhnen und uns überlegen, wie wir damit umgehen wollen. (Konzeptstudie offlinetags.net Sehr interessant!)
    Beziehungsweise: wir müssen mehr Kontrolle (über unsere persönlichen Daten) bekommen: personal data to go. Also die persönichen Daten nach Gebrauch wieder mitnehmen. (Dieser Punkt wurde irgendwo mal angesprochen. Wie auch immer das techn. machbar wäre)

    Wenn du sagst „Kontrolle nicht aus der Hand nehmen lassen“ impliziert das ja, das wir die Kontrolle bisher hätten. Das denke ich beim aktuellen Stand der Technik überhaupt nicht.

    Ansonsten aber schön zusammen gefasst. Den Brandschutz hätte ich allerdings auch nicht erwähnt. =)

  6. Jein, Mirko. Über selbst gehostete Blogs oder die eigene Website hat man ja schon weitgehend die Kontrolle. Das war ja auch der Grund, dazu aufzurufen, diese wieder mehr zu verwenden – im Gegensatz zu Facebook und Konsorten, wo alles gespeichert wird und man nicht weiß, was (wirklich) damit passiert.

    Aber Du hast natürlich recht, dass mit Sicherheit auch noch der andere Aspekt gemeint war, nämlich der Teil über den wir einfach keine Kontrolle haben KÖNNEN. Dinge eben, die außerhalb unseres direkten Einflussbereichs liegen.

    Und was habt Ihr bloß alle mit dem Brandschutz? Die haben gute Arbeit geleistet und für Sicherheit gesorgt. Das wollte ich nicht anzweifeln; daher schrieb ich ja auch „im Rahmen ihrer Möglichkeiten“! ^^

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